Gespanntipps vom K(o)arl
Die folgenden Erkenntnisse habe ich selbst gewonnen, Widersprüche zu eventuell
existierenden Lehrmeinungen sind daher möglich.
Die Rede ist hier immer von RECHTS angebrachten Beiwagen. Nachahmung auf eigene Gefahr und Rechnung!
1. Fahrwerkseinstellung
* Das Seitenwagenrad von oben gesehen ca. 3cm auf 2m (Meßlatte) einwärts richten,
damit das Ding nach links zieht,
um das "Nachhinken" des Beiwagens zu kompensieren
* Das Motorrad unbelastet ca. 3 Grad nach links gekippt einstellen, damit es auch sozusagen
nach links fahren wollte, wenn es nur könnte...
* Die Position der Seitenradachse bezüglich der anderen beiden Räder ist wohl
überlegt und sollte nach Vorschrift justiert werden.
Damit wird das Über- bzw. Untersteuerverhalten in Rechtskurven definiert.
* Der Sturz des Beiwagenrades ergibt sich durch die Geometrie des Gestells,
der Anblick von hinten ähnelt dem eines altrömischen Ochsenkarrens.
* Aufgrund der starken Bombierung tschechischer Landstraßen (und NUR dort
fühlt das Gerät sich wohl und heimisch)
ist die Sitzposition zumindest dort recht angenehm. Die Wirbelsäule des
Jawa-Fahrers ist überraschend anpassungsfähig.
2. Federn - Dämpfer
* Das Ding gehört HART. Gabelfedern 50mm kürzen und mit
Alu-Distanzstücken auffüllen. Gabelöl kann 15W40 sein.
* Dämpfer hinten detto: zäheres Öl schadet nicht, die Federn
kann man kaum beeinflussen.
* Seitenwagen: Der Dämpfer ist baugleich mit denen am Hinterrad, allerdings
ist die Feder eine stärkere.
* Ein Querstabilisator (Torsionsstab) wie bei MZ wäre schön. Gibts aber nicht.
* Essentiell ist der Lenkungsdäpfer. Der originale Reibungsdäpfer kann durch einen
Umbau recht brauchbar werden. Da der Lenker bei Bewegung das Fahrzeug in der Höhe
verändert, ergibt sich allein dadurch ein Feder-Masse-System, welches bei ca. 30 km/h
schwingfähig wird, sofern eben nicht bedämpft wird. Das Rechenmodell hierzu ist
vermutlich nicht trivial *gg*. Wo sind die Theoretiker? Praktiker fahren lieber nicht freihändig.
3. Bremsen
* Ich persönlich ziehe eine Justierung der Hinterrad- und Seitenrad-Seilzüge vor,
die das Seitenrad beim Bremsen _etwas_ stärker wirken läßt.
Das entstehende Rechtsziehen wird durch das Linksziehen der Vorderradbremse (die bitte wirklich
perfekt in Schuß sein soll!) aufgehoben.
* Eine Scheibenbremse vorne (Typ 639 hat sie) wäre auch ein Traum...
4. Bereifung
Diese wird der Fahrweise geopfert und sollte öfter auf Abnützung
kontrolliert werden. Für das antreibende Hinterrad gibt es extra Reifen
mit rechteckigem Querschnitt (Metzeler Block 4.00-18 z.B.), die langlebiger als die
3.50-18er von der einspurigen Variante sind. Dafür ist im Winter der 3.50-18er
griffiger und prinzipiell für die Montage von Anfahrhilfen geeignet. Das
Seitenrad hat einen speziellen 16"-Reifen, der sonst nirgendwo vorkommt, glaube ich.
5. Fahrverhalten mit Beladung
Das Gerät ist für 3 Personen typisiert, aus Leistungsgründen dann
aber fast unfahrbar. Ein Fahrer und eine masochistische Beifahrerin mit nicht
unter 80kg bilden ein optimales Gespann, sozusagen. Singles können auch
einen Sandsack mit ca. 25kg statt der Beifahrerin mitnehmen. Der Sack hat zwar das
optimale Sozialverhalten (weder streit- noch eifersüchtig), aufgrund seines
Gewichtes hebt sich aber der Beiwagen in mittleren Rechtskurven so ab 30 km/h.
Das Fahren mit unbeladenem Beiwagen ist Anfängern nicht zu raten!
6. Das Kippen in Rechtskurven (bei Rechtsbeiwagen)
...stellt einen unangenehmen Nebeneffekt dieser Fahrzeugart dar.
Mit vollem Boot kein Problem; je weniger Beladung im Beiwagen, desto sensibler wird das Gefährt.
Wichtig: Schon vor(!) der Kurve Gewicht des Fahrers nach rechts verlagern.
Sollte das Boot dennoch hochkommen, gibt es verschiedene Expertenmeinungen:
a) mit der Fußbremse BREMSEN! Weniger Kurvengeschwindigkeit, weniger Fliehkraft.
Nachteil: Möglicherweise blockierendes Hinterrad bewirkt Dreher nach rechts, in weiterer
Folge ist so etwas ähnliches wie ein Highsider denkbar.
b) GAAAS geben! Durch die Trägheit des (nicht angetriebenen!!) Seitenwagens dreht sich alles mehr
oder weniger zwangsläufig um seinen Schwerpunkt.
Solange beschleunigt wird, bleibt die Kurvenfahrt eine solche.
Was am Ende der Beschleunigungsphase geschieht, ist der Kreativität des
Fahrers überlassen.
Man bedenke auch den etwas müden Vorwärtsdrang des Vehikels.
c) wenn möglich, den gefahrenen Kurvenradius vergrößern.
Das ist aber normalerweise wegen des Gegenverkehrs nicht machbar.
Es empfiehlt sich, auf einem leeren Parkplatz
beizeiten dieses Verhalten auszuloten und die Angst vor dem zweirädrigen
Fahren abzubauen. Das Gerät ist einfach ein Motorrad mit einem schlecht
balancierten Ausleger und prinzipiell auch einspurig fahrbar. Angepaßtes
Tempo ist auf jeden Fall ratsam, Größenwahn wegen vermeintlicher
Fahrzeugbeherrschung ist nicht angebracht. Ich fahre seit einiger Zeit ohne Ballast
im Beiwagen, weil Beschleunigung, Bremsweg und Verbrauch doch etwas günstiger werden.
Dafür muß man eben mehr mitdenken...
7. Linkskurven
Diese sind bei richtiger Fahrwerkseinstellung, unabhängig von der Beladung,
mit großer Vehemenz fahrbar und dienen zum Abhängen hektisch
nachdrängender vierrädriger Zeitgenossen ;-)
8. Winter
Dieser ist ein großer Genuß, sofern zumindest der Hinterreifen möglichst neu ist.
Die originalen Barum/Mitas sind bei diesen Verhältnissen optimal eingesetzt.
Nachteilig sind nur das Streusalz, welches die Korrosion beflügelt, und die Kälte
in Fingern und Zehen. Natürlich zieht das Gefährt beim Beschleunigen nach rechts,
natürlich wird es beim Bremsen vorne unlenkbar, aber dafür läßt sich mit passender
Wahl von Gasstellung, Gang und fein dosierter Fußbremse jeder Kurvenradius fahren.
Schneller als alltägliche Autofahrer jedenfalls ;-)
Manchmal wünscht man sich ein angetriebenes Seitenrad wie bei den Russen, für
mitteleuropäische Verhältnisse ist das Antriebskonzept ausreichend.
Nach einem Tag Schneefahrbahn sollte man alle Verhaltensweisen seines Gespanns ausgelotet haben.
Wer danach obengeblieben ist, hat vermutlich alle Tricks gelernt :-)
9. Schneeketten und so...
Wenn es ohne nicht mehr geht, greift man eben zum Eigenbau. Mit einem kettenbewehrten Hinterrad
läßt sich fast alles erklimmen, was nach verschneiter Steigung aussieht. Die linke
Beifahrerfußraste ausklappen, draufsteigen und mit sehr gestreckter rechter Hand Gas geben.
Der Trick ist, daß der Schwerpunkt nach hinten links verlagert bzw. das Hinterrad tendenziell
mehr belastet wird. Lenkbarkeit ist bergauf (fast) kein Thema. Eine Vorderradkette ist bei dieser Jawa aufgrund des engen vorderen Kotflügels ohnehin nicht montierbar. - Kettentips hier:
von Andreas "Motorang", einem tauern-erprobten Steirer.
10. Treibstoffverbrauch
Dieser ist unvernünftig hoch und neben der Regenproblematik (Verdeck am
leeren Beiwagen, aber der Fahrer wird naß) ein weiteres Argument, auf ein
bürgerliches Gefährt wie z.B. einen Mazda 323 umzusteigen.
11. Gründe, es dennoch zu tun
Da fragen Sie noch? Fahren Sie doch einmal mit so einem Vehikel!
12. Das sogenannte Kleingedruckte
Ich weise explizit darauf hin, daß das mutwillig-kunstvolle Fahren eines Dreiradfahrzeuges
auf nur zwei Rädern im allgemeinen von der Behörde mit dem ebenso zu betrachtenden
Fahren eines Zweirades auf nur einem Rad gleichgesetzt und entsprechend geahndet wird :-P
Kunstverständige Beamte gibt es aber zum Glück... ;-)