Gespanntipps vom K(o)arl



Die folgenden Erkenntnisse habe ich selbst gewonnen, Widersprüche zu eventuell existierenden Lehrmeinungen sind daher möglich.
Die Rede ist hier immer von RECHTS angebrachten Beiwagen. Nachahmung auf eigene Gefahr und Rechnung!

638 mit Beiboot    638 im Schnee

1. Fahrwerkseinstellung

* Das Seitenwagenrad von oben gesehen ca. 3cm auf 2m (Meßlatte) einwärts richten, damit das Ding nach links zieht,
   um das "Nachhinken" des Beiwagens zu kompensieren
* Das Motorrad unbelastet ca. 3 Grad nach links gekippt einstellen, damit es auch sozusagen nach links fahren wollte, wenn es nur könnte...

Skizze Schrägansicht    Skizze Grundriß
* Die Position der Seitenradachse bezüglich der anderen beiden Räder ist wohl überlegt und sollte nach Vorschrift justiert werden.
   Damit wird das Über- bzw. Untersteuerverhalten in Rechtskurven definiert.
* Der Sturz des Beiwagenrades ergibt sich durch die Geometrie des Gestells,    der Anblick von hinten ähnelt dem eines altrömischen Ochsenkarrens.
* Aufgrund der starken Bombierung tschechischer Landstraßen (und NUR dort fühlt das Gerät sich wohl und heimisch)
   ist die Sitzposition zumindest dort recht angenehm. Die Wirbelsäule des Jawa-Fahrers ist überraschend anpassungsfähig.

2. Federn - Dämpfer

* Das Ding gehört HART. Gabelfedern 50mm kürzen und mit Alu-Distanzstücken auffüllen. Gabelöl kann 15W40 sein.
* Dämpfer hinten detto: zäheres Öl schadet nicht, die Federn kann man kaum beeinflussen.
* Seitenwagen: Der Dämpfer ist baugleich mit denen am Hinterrad, allerdings ist die Feder eine stärkere.
* Ein Querstabilisator (Torsionsstab) wie bei MZ wäre schön. Gibts aber nicht.
* Essentiell ist der Lenkungsdäpfer. Der originale Reibungsdäpfer kann durch einen Umbau recht brauchbar werden. Da der Lenker bei Bewegung das Fahrzeug in der Höhe verändert, ergibt sich allein dadurch ein Feder-Masse-System, welches bei ca. 30 km/h schwingfähig wird, sofern eben nicht bedämpft wird. Das Rechenmodell hierzu ist vermutlich nicht trivial *gg*. Wo sind die Theoretiker? Praktiker fahren lieber nicht freihändig.

3. Bremsen

* Ich persönlich ziehe eine Justierung der Hinterrad- und Seitenrad-Seilzüge vor, die das Seitenrad beim Bremsen _etwas_ stärker wirken läßt. Das entstehende Rechtsziehen wird durch das Linksziehen der Vorderradbremse (die bitte wirklich perfekt in Schuß sein soll!) aufgehoben.
* Eine Scheibenbremse vorne (Typ 639 hat sie) wäre auch ein Traum...

4. Bereifung

Diese wird der Fahrweise geopfert und sollte öfter auf Abnützung kontrolliert werden. Für das antreibende Hinterrad gibt es extra Reifen mit rechteckigem Querschnitt (Metzeler Block 4.00-18 z.B.), die langlebiger als die 3.50-18er von der einspurigen Variante sind. Dafür ist im Winter der 3.50-18er griffiger und prinzipiell für die Montage von Anfahrhilfen geeignet. Das Seitenrad hat einen speziellen 16"-Reifen, der sonst nirgendwo vorkommt, glaube ich.

5. Fahrverhalten mit Beladung

Das Gerät ist für 3 Personen typisiert, aus Leistungsgründen dann aber fast unfahrbar. Ein Fahrer und eine masochistische Beifahrerin mit nicht unter 80kg bilden ein optimales Gespann, sozusagen. Singles können auch einen Sandsack mit ca. 25kg statt der Beifahrerin mitnehmen. Der Sack hat zwar das optimale Sozialverhalten (weder streit- noch eifersüchtig), aufgrund seines Gewichtes hebt sich aber der Beiwagen in mittleren Rechtskurven so ab 30 km/h. Das Fahren mit unbeladenem Beiwagen ist Anfängern nicht zu raten!

6. Das Kippen in Rechtskurven (bei Rechtsbeiwagen)

...stellt einen unangenehmen Nebeneffekt dieser Fahrzeugart dar.
Mit vollem Boot kein Problem; je weniger Beladung im Beiwagen, desto sensibler wird das Gefährt.
Wichtig: Schon vor(!) der Kurve Gewicht des Fahrers nach rechts verlagern.
Sollte das Boot dennoch hochkommen, gibt es verschiedene Expertenmeinungen:

a) mit der Fußbremse BREMSEN! Weniger Kurvengeschwindigkeit, weniger Fliehkraft.
   Nachteil: Möglicherweise blockierendes Hinterrad bewirkt Dreher nach rechts, in weiterer Folge ist so etwas ähnliches wie ein Highsider denkbar.
b) GAAAS geben! Durch die Trägheit des (nicht angetriebenen!!) Seitenwagens dreht sich alles mehr oder weniger zwangsläufig um seinen Schwerpunkt.
   Solange beschleunigt wird, bleibt die Kurvenfahrt eine solche.
   Was am Ende der Beschleunigungsphase geschieht, ist der Kreativität des Fahrers überlassen.
   Man bedenke auch den etwas müden Vorwärtsdrang des Vehikels.
c) wenn möglich, den gefahrenen Kurvenradius vergrößern. Das ist aber normalerweise wegen des Gegenverkehrs nicht machbar.

Es empfiehlt sich, auf einem leeren Parkplatz beizeiten dieses Verhalten auszuloten und die Angst vor dem zweirädrigen Fahren abzubauen. Das Gerät ist einfach ein Motorrad mit einem schlecht balancierten Ausleger und prinzipiell auch einspurig fahrbar. Angepaßtes Tempo ist auf jeden Fall ratsam, Größenwahn wegen vermeintlicher Fahrzeugbeherrschung ist nicht angebracht. Ich fahre seit einiger Zeit ohne Ballast im Beiwagen, weil Beschleunigung, Bremsweg und Verbrauch doch etwas günstiger werden. Dafür muß man eben mehr mitdenken...

7. Linkskurven

Diese sind bei richtiger Fahrwerkseinstellung, unabhängig von der Beladung, mit großer Vehemenz fahrbar und dienen zum Abhängen hektisch nachdrängender vierrädriger Zeitgenossen ;-)

8. Winter

Dieser ist ein großer Genuß, sofern zumindest der Hinterreifen möglichst neu ist. Die originalen Barum/Mitas sind bei diesen Verhältnissen optimal eingesetzt. Nachteilig sind nur das Streusalz, welches die Korrosion beflügelt, und die Kälte in Fingern und Zehen. Natürlich zieht das Gefährt beim Beschleunigen nach rechts, natürlich wird es beim Bremsen vorne unlenkbar, aber dafür läßt sich mit passender Wahl von Gasstellung, Gang und fein dosierter Fußbremse jeder Kurvenradius fahren. Schneller als alltägliche Autofahrer jedenfalls ;-) Manchmal wünscht man sich ein angetriebenes Seitenrad wie bei den Russen, für mitteleuropäische Verhältnisse ist das Antriebskonzept ausreichend.
Nach einem Tag Schneefahrbahn sollte man alle Verhaltensweisen seines Gespanns ausgelotet haben.
Wer danach obengeblieben ist, hat vermutlich alle Tricks gelernt :-)

9. Schneeketten und so...

Wenn es ohne nicht mehr geht, greift man eben zum Eigenbau. Mit einem kettenbewehrten Hinterrad läßt sich fast alles erklimmen, was nach verschneiter Steigung aussieht. Die linke Beifahrerfußraste ausklappen, draufsteigen und mit sehr gestreckter rechter Hand Gas geben. Der Trick ist, daß der Schwerpunkt nach hinten links verlagert bzw. das Hinterrad tendenziell mehr belastet wird. Lenkbarkeit ist bergauf (fast) kein Thema. Eine Vorderradkette ist bei dieser Jawa aufgrund des engen vorderen Kotflügels ohnehin nicht montierbar. - Kettentips hier: von Andreas "Motorang", einem tauern-erprobten Steirer.

10. Treibstoffverbrauch

Dieser ist unvernünftig hoch und neben der Regenproblematik (Verdeck am leeren Beiwagen, aber der Fahrer wird naß) ein weiteres Argument, auf ein bürgerliches Gefährt wie z.B. einen Mazda 323 umzusteigen.

11. Gründe, es dennoch zu tun

Da fragen Sie noch? Fahren Sie doch einmal mit so einem Vehikel!

12. Das sogenannte Kleingedruckte

Ich weise explizit darauf hin, daß das mutwillig-kunstvolle Fahren eines Dreiradfahrzeuges auf nur zwei Rädern im allgemeinen von der Behörde mit dem ebenso zu betrachtenden Fahren eines Zweirades auf nur einem Rad gleichgesetzt und entsprechend geahndet wird :-P
Kunstverständige Beamte gibt es aber zum Glück... ;-)